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Radikalsatiriker

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pflegen des Irrsinns verdächtigt zu werden: siehe Jonathan Swift

Wer mit offenen Augen durch die Straßen geht, der wird bestimmt die fidelsten Gesichter in den Trauerkutschen sehen.

Wenn jemand mich von sich fernhält, tröste ich mich damit, dass er auch sich von mir fernhält.

Trefflich bemerkt, sage ich bei der Lektüre einer Stelle, an der die Ansicht des Autors mit der meinen übereinstimmt. Sind wir uneins, so erkläre ich, hier irre er.

Das Meisterwerk des Sarkasmus schlechthin:

Bescheidener Vorschlag, wie Kinder armer Leute in Irland davor bewahrt werden sollen, ihren Eltern oder dem Staat zur Last zu fallen, und wie sie dem Gemeinwesen zum Nutzen gereichen können.

Viele Fliegen gleich mit einer Klappe: man stelle doch einfach das noch nicht arbeitsfähige Kroppzeug dem Adel als Wildbret für die Jagd zur Verfügung, oder als nicht gerade billige Delikatesse für den verwöhnten Gaumen des Gutsbesitzers. Wenn man die elterlichen Produzenten der Ware Kind ihr Produkt gleich selber aufessen ließe, damit sie dem Sozialstaat nicht immerzu auf der Tasche liegen, wäre das volkswirtschaftlich einfach kontraproduktiv. Export dieses Nahrungsmittels wäre eigentlich die optimale Lösung der Überbevölkerungsproblematik und des damit einhergehenden Problems der Kriminalität unter Jugendlichen … (Das kommt einem alles irgendwie so unheimlich bekannt vor.)

… Und so weiter mit den Begründungen, an denen es noch nie gefehlt hat, wenn aus der Not der Menschen eine Tugend ihrer Herrschaft herbeigefabelt werden sollte.

Eigentlich schade, dass sein Gulliver in der klimaktisch sich aufgipfelnden Menschheitssatire an Biss gewinnt, was er an produktivem Hass gegenüber dem zu destruierenden Objekt verliert. Angesichts dessen lobe ich mir doch ein politisches Pamphlet wie den Bescheidenen Vorschlag. Schon deswegen, weil es bei Polemiken immer um etwas geht, was ihre wohlerzogenen Verächter gerne übersehen machen würden.

Die Frage des möglichen Irrsinns ist bei einem Traktat-Titel wie: “Abschweifung über Wesen, Nutzen und Notwendigkeit von Kriegen und Streitigkeiten“ sehr leicht zu entscheiden.

Da die meisten Leser ohnehin von der Untersuchungsunwürdigkeit, weil Längst-Entschiedenheit der Sache überzeugt sind, ist selbstverständlich der Autor verrückt.

“Hohnlächelnd sich der Staatsmann zeiht

Des Fehlers seiner Redlichkeit.

Er tue nichts zu üblem Zwecke,

Was seine Freunde von ihm schrecke.

Sein einzig Ziel sei´ s, zu vermehren

Des Volkes Wohl, des Fürsten Ehren … “

Da steht übrigens – auch nicht im Weiteren – nichts davon, dass der Mann ein Gauner sei, wie in weiten Kreisen von Kleinbloggershausen die “kritische” Abgrenzung umläuft.

Es dürfte sich Swifts Sermocinatio (Rollenrede) an seinem Grabe (in den „Versen auf den Tod von Dr. Swift“) nicht allzu sehr vertan haben bei der Charakterisierung seines Nachruhms.

“Hätt er´ s Experten überlassen!

Ein gutes Hundert gab´ s von diesen;

Auf ihn war´ n wir nicht angewiesen.

Mag sein, er hatte ein´ ges Wissen,

Jedoch an Takt ließ er´ s vermissen.

Seine Satire war empörend

Und wirkte maßlos ruhestörend;

Hof, Hochfinanz und Militär –

Er zog nach Laune drüber her.

Nur Geifersucht konnt ihn verführen … “

Weil der Vorwurf der nichtautorisierten “Geifersucht” zu den soliden Vorurteilen gegen die radikale Satire zählt, kennt fast jeder Swifts Gulliver nur in der expurgierten Kinderbuchfassung.

[ck]

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